Im Sommer 2022 fand das L‑Bank-Wirtschaftsforum erstmalig landesweit in Stuttgart statt – auch für unseren Keynote-Speaker eines der ersten Großevents nach langer Zeit der Entbehrung. Wir sprachen mit Jochen Engert, Mitgründer von FlixBus, im Nachgang über die Erfolgsgeschichte von Flix, Lehren aus Krisenzeiten und das Verbesserungspotenzial für Start-ups in Deutschland.
Keynote-Speaker
Flix-Mitgründer Jochen Engert, Keynote-Speaker des L-Bank-Wirtschaftsforums, im Interview
Bei Flix hat sich seit der Gründung Ende 2012 viel getan: Ein Marktanteil von rund 95 % in Deutschland, über 3.000 Mitarbeitende in über 20 verschiedenen Ländern, 34 Mio. Kundinnen und Kunden weltweit in der letzten Sommersaison. Jochen Engert, Mitgründer von Flix, ist mittlerweile in den Aufsichtsrat der europäischen Aktiengesellschaft gewechselt.
Frage: Im Sommer 2022 fand das L‑Bank-Wirtschaftsforum erstmalig landesweit in Stuttgart statt – auch für Sie, Herr Engert, eines der ersten Großevents nach langer Zeit der Entbehrung: Sie waren unser Keynote-Speaker. Wie war es, auf der Bühne zu stehen und die Erfolgsgeschichte von Flix wieder vor einem Publikum in Präsenz vorzustellen?
Antwort: Es war natürlich schön, nach der langen Zeit durch die Pandemie wieder eine Veranstaltung zu besuchen und über Flix zu sprechen. Die Einladung zum L‑Bank-Wirtschaftsforum ist ja auch für uns ein positives Zeichen gewesen, dass die Pandemie zu Ende geht und wir wieder zurück zur Normalität kommen.
Frage: FlixBus wurde zwar in München gegründet; Baden-Württemberg ist Ihnen dennoch nicht fremd. Entstand schon während des BWL-Studiums an der Uni Stuttgart der Wille zur Gründung und die Idee zu FlixBus?
Antwort: Das Stuttgarter Umfeld ist natürlich insgesamt schon sehr unternehmerisch mit der starken Wirtschaftsstruktur und hat sicher seinen Teil zur Gründung beigetragen. Die Idee zu FlixBus entstand allerdings erst später auf Basis des Koalitionsvertrags von 2009, in dem die Liberalisierung des Fernbusmarktes in Deutschland auf die politische Agenda kam. Diese Chance war für uns als Gründerteam so einmalig, dass wir es einfach versuchen mussten. Aus heutiger Zeit natürlich die offensichtlich richtige Entscheidung; damals war das nicht so klar. Umso mehr sind wir froh, dass wir es einfach probiert haben.
Frage: Sie hatten keinerlei Branchenexpertise und sahen das als Chance, um das Produkt Fernbusreise neu zu denken. Was war der Neuansatz?
Antwort: Wir haben von Anfang an unser Produkt immer sehr stark vom Kunden und seinen Bedürfnissen her gedacht. Daher konzentrieren wir uns bis heute auf die Customer Experience rund um Verfügbarkeit, Flexibilität, Einfachheit, Qualität und das alles natürlich zu sehr guten Preisen. Da hat uns schon sehr geholfen, dass wir einen frischen Blick auf den Markt und die Industrie hatten und Produkt, Geschäftsmodell und Technologie auf der grünen Wiesen neu denken konnten.
Frage: Inwieweit hat FlixBus dadurch das Image und die Art der Fernbusreisen verändert?
Antwort: Wir haben mit FlixBus den Fernbus aus der Nische geführt und einem sehr breiten Publikum zugänglich gemacht. Heute ist es schon eher der Standard, dass man für viele Reisen den Fernbus und speziell Flix in seiner Reiseentscheidung als mindestens gleichwertige Alternative zu Flug, Zug und dem eigenen Auto berücksichtigt. Das war vor zehn Jahren noch ganz anders und wir haben es geschafft, eine moderne, innovative Marke mit einem sehr kundenfreundlichen Produkt zu etablieren.
Frage: Ein Bus, das Gründungsteam und Photoshop waren die Basis für die ersten PR-Versuche, die Sie und Ihre Mitgründer, Daniel Kraus und André Schwämmlein, wagten. Wie kam das an und was nahmen Sie daraus mit?
Antwort: Wir haben mit wenig Aufwand relativ viel Aufmerksamkeit bekommen. Am Anfang geht es eher um Geschwindigkeit als um totale Präzision und Perfektion. Das war sicher eine der wichtigsten Lehren aus den ersten paar Jahren.
Frage: Wie so viele wurden auch Sie von der Corona-Pandemie überrascht. Wie hat Ihr Unternehmen reagiert, um durch die Krise zu kommen? Was sind die Lehren, die Sie daraus gezogen haben?
Antwort: Die Pandemie war die schwerste Krise in der Historie unserer Industrie. Im März/April 2020 mussten wir zeitweise fast unser komplettes Netz pausieren und entsprechend extrem war der Einfluss der Situation auf unser Unternehmen. Wir haben es dann geschafft, gemeinsam mit dem Team sehr schnell zu reagieren, unsere Netze und Kapazitäten anzupassen, Kosten zu senken und über die Zeit auch die Finanzierung zu sichern, um die Pandemie zu überleben.
Die Reaktion und absolute Leidenschaft des Flix-Teams diese Herausforderung zu meistern, war dabei für uns als Gründer extrem beeindruckend und macht uns sehr stolz. Nach einiger Zeit konnten wir dann auch wieder die großen Möglichkeiten sehen, die sich aus dieser Krise für uns ergeben und optimistischer auf die Zukunft blicken. Das haben wir dann auch mit der Übernahme von Greyhound maximal für uns genutzt und damit den klaren Marktführer in den USA gebaut. Flix geht also sehr gestärkt aus dieser schwierigen Phase und wir sind heute als Unternehmen, Team und Organisation noch besser als vorher.
Frage: Ein bisschen Zukunftsmusik: Was sind die nächsten Ziele von Flix? Und wo liegt das größte Potenzial – USA, Brasilien oder doch die kleinen Städte in Deutschland auf dem Land?
Antwort: Generell gibt es global noch wahnsinnig viel Potential immer mehr Menschen zu bewegen, auf das Auto zu verzichten und öffentlich verfügbare Mobilitätsangebote und idealerweise natürlich unsere FlixBusse und FlixTrains zu nutzen. Unsere Vision, smarte und grüne Mobilität für möglichst viele Menschen verfügbar zu machen, ist heute relevanter denn je. Flix wird sein Angebot weiter ausbauen – sowohl in Deutschland als auch in vielen weiteren Märkten.
Frage: Deutschland hat sich in den letzten Jahren zu einem attraktiven Standort für Start-ups entwickelt. Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial? Welche Rolle spielt die staatliche Förderung dabei?
Antwort: Es ist richtig, dass in den letzten fünf bis zehn Jahren viel Entwicklung im Bereich Start-ups passiert ist. Wir sind trotzdem im internationalen Vergleich noch nicht auf Augenhöhe mit den führenden Ländern bei der Verfügbarkeit von Risiko- und Wachstumskapital und den rechtlichen Rahmenbedingungen für Zuwanderung von internationalem Top-Talent und Mitarbeiterbeteiligungen. Hier gilt es, für die Politik Digitalisierung und Start-ups als echten Treiber von Wachstum zu verstehen und einen unbürokratischen und attraktiven Rahmen zu schaffen.
Frage: Die Themenfelder Transformation, Digitalisierung und Nachhaltigkeit bestimmen die Wirtschaft in Deutschland. Welche Herausforderung sehen Sie im Vergleich zu anderen Ländern?
Antwort: Wir sind in Deutschland sicher durch unsere industrielle Basis stärker den aktuellen Makro-Trends – gerade auf den Energiekosten – ausgesetzt als andere Länder. Digitalisierung passiert sowohl beim Staat als auch in der Wirtschaft noch zu langsam. Hier kann die aktuelle Krise ein Katalysator sein, um die Trends zu beschleunigen und echten Sprung vorwärts zu machen. Wir haben historisch immer wieder bewiesen, dass Deutschland ein tolles Land mit viel Erfindungsreichtum ist und ich würde mir wünschen, dass wir diese Chance bei neuen Technologien rund um das Thema Nachhaltigkeit jetzt ergreifen und damit die Basis für die nächsten Jahrzehnte für den Standort Deutschland legen.
Frage: Angesichts der krisenhaften Zeiten – Was würden Sie Gründungswilligen heute raten?
Antwort: Krisen und transformative Zeiten sind im Rückblick immer auch sehr gute Zeiten gewesen, um Unternehmen zu gründen. Also kann ich jedem, der über eine Gründung nachdenkt nur raten: Einfach machen! Wir brauchen mehr leidenschaftliches Unternehmertum, neue Ideen und echte Innovationen, um Deutschland und unseren Planeten auch für die nächsten Generationen noch attraktiv und lebenswert zu machen.