Konjunktur-Interview

Die Südwestkonjunktur wankt

Aktualisiert am

Die derzeit noch positive Lageeinschätzung wird durch Inflation, Rezessionsängste und geopolitische Unsicherheiten bedroht

„Durch die Corona-Pandemie, den Kriegsausbruch in der Ukraine und einige andere Faktoren ist ein gefährlicher Cocktail aus steigenden Preisen und drohender Rezession entstanden. Dieser wird uns vermutlich noch über Monate und Jahre hinweg beschäftigen. Allerdings hat der sturmerprobte Mittelstand in Baden-Württemberg während der Corona-Pandemie seine Resilienz und Wandlungsfähigkeit unter Beweis gestellt, was zuversichtlich stimmt“, bewertet Edith Weymayr, Vorsitzende des Vorstands der L‑Bank, die gegenwärtige Lage.

Karlsruhe, 12.07.2022. Zum Ende des ersten Halbjahres 2022 wird die Stimmungslage der Südwestunternehmen weiterhin durch den Krieg in der Ukraine und seine vielfältigen Auswirkungen geprägt. Zwar blicken die Betriebe in der L‑Bank‑ifoInstitut für Wirtschaftsforschung‑Konjunkturumfrage nicht mehr ganz so pessimistisch auf die kommenden Monate wie direkt nach Kriegsausbruch; die Geschäftserwartungen liegen aber weiterhin deutlich im negativen Bereich. Ihre aktuelle Geschäftslage beurteilen die Südwestunternehmen weiterhin überwiegend positiv. Insgesamt verbesserte sich das Geschäftsklima im Vergleich zum Ende des ersten Quartals.

Frage: Frau Weymayr, die Stimmungslage der Unternehmen im Land hat sich trotz aller Belastungen und Risiken im zweiten Quartal stabilisiert. Kommen die Betriebe auch durch diese Krise weitgehend unbeschadet?

Antwort: Für dieses Fazit ist es leider noch viel zu früh. Durch die Corona-Pandemie, den Kriegsausbruch in der Ukraine und einige andere Faktoren ist ein gefährlicher Cocktail aus steigenden Preisen und drohender Rezession entstanden. Dieser wird uns vermutlich noch über Monate und Jahre hinweg beschäftigen. Zwar waren die Stimmungswerte in der L‑Bank‑ifo‑Konjunkturumfrage im zweiten Quartal tatsächlich relativ stabil. Steigende Energiepreise könnten die Südwestwirtschaft in den kommenden Monaten allerdings stark belasten und die Konjunkturstimmung zusätzlich eintrüben.

Frage: Steht uns also eine schwerwiegende Wirtschaftskrise bevor?

Antwort: In jedem Fall dürfte die für dieses Jahr – wie ursprünglich prognostiziert – deutliche konjunkturelle Erholung so nicht eintreten. Die massiven Preisanstiege und die darauf notwendigerweise folgenden Zinsanhebungen der Zentralbanken wirken klar wachstumshemmend und auch die drohende Gasknappheit und die enormen geopolitischen Risiken sorgen für Unsicherheit bei den Unternehmen. Wenn wir allerdings auf Baden-Württemberg blicken, dann stimmt mich unser sturmerprobter Mittelstand doch zuversichtlich. Dieser hat während der Corona-Pandemie seine Resilienz und Wandlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Diese Eigenschaften werden auch in den kommenden Jahren ein wertvolles Faustpfand sein.

Frage: Werfen wir einen Blick auf die Verbraucherseite. Hat sich die im ersten Quartal zu beobachtende negative Entwicklung der Stimmungslage in den letzten Monaten fortgesetzt?

Antwort: Ganz eindeutig ja. Die Inflationsrate in Baden-Württemberg lag im zweiten Quartal durchgehend bei über 7 %. Das bekommen die Privathaushalte natürlich ganz direkt und brutal in ihrem Alltag zu spüren. In unserer L‑Bank‑GfKGesellschaft für Konsumforschung‑Verbraucherumfrage eilt das Preisklima – also die subjektive Inflationswahrnehmung – dementsprechend von Rekordhoch zu Rekordhoch und liegt inzwischen bei außerordentlich hohen 75 Punkten. Gleichzeitig haben sowohl das Einkommens- als auch das Anschaffungsklima die tiefsten Stände seit der Finanzkrise 2008/2009 erreicht. Auch das Konjunkturklima liegt bereits wieder tief im negativen Bereich. Die Verbraucher im Südwesten scheinen sich also auf eine schwerwiegende Wirtschaftskrise einzustellen.

Frage: Ist die Krise auch schon auf den Arbeitsmärkten angekommen?

Antwort: Die Situation auf dem baden-württembergischen Arbeitsmarkt ist trotz aller Widrigkeiten bislang weiterhin stabil und positiv. Dem Statistischen Landesamt zufolge lag die Zahl der Erwerbstätigen im Südwesten im ersten Quartal mit 6,34 Mio. sogar um 1,3 % über dem Vorjahresniveau. Auch die aktuelle Arbeitslosenquote befindet sich – trotz eines erwartbaren Anstiegs durch die Geflüchteten aus der Ukraine – mit 3,5 % weiterhin auf einem sehr niedrigen Niveau. Auch für die kommenden Monate gibt es derzeit noch keine Signale für einen Anstieg der Arbeitslosigkeit. So zeigt unsere Umfrage, dass beispielsweise die Industriebetriebe sogar mit einem leichten Personalaufbau planen. Im weiteren Jahresverlauf dürfte eher der eklatante Fachkräftemangel in vielen Branchen das zentrale Problem darstellen. 

Frage: Im Bausektor gab es zuletzt erhebliche Probleme mit Lieferengpässen und Materialknappheiten. Wie ist die aktuelle Stimmungslage der Bauunternehmen im Land?

Antwort: Das Baugewerbe hat seine Rolle als konjunktureller Stabilitätsanker vor dem Hintergrund der vielen, gleichzeitig auftretenden Problemfelder derzeit ein Stück weit verloren. Im April ist das L‑Bank‑ifo‑Geschäftsklima in der Branche zwischenzeitlich sogar auf den niedrigsten Stand seit Herbst 2010 gefallen. Im Mai und Juni folgte dann zwar eine Erholung, die Unsicherheiten sind aber weiterhin stark ausgeprägt. Derzeit berichten mehr als 60 % der Bauunternehmen über Schwierigkeiten bei der Ausführung ihrer Bautätigkeiten, Materialknappheiten spielen dabei weiterhin die bedeutsamste Rolle.  

Frage: Und wie haben sich die Immobilienpreise vor diesem Hintergrund entwickelt?

Antwort: Der Anstieg der Baupreise hat sich im bisherigen Verlauf des Jahres 2022 weiter beschleunigt. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes lagen die Neubaupreise im Mai um 15 % über dem Vorjahresniveau. Zudem rechnen die vom ifo-Institut befragten Wohnungsbauunternehmen zumindest kurzfristig mit weiter steigenden Preisen. Die Lage ist also ziemlich kompliziert. Umso bedeutsamer ist es, dass alle Kräfte mobilisiert werden, damit die dringend erforderliche Schaffung von bezahlbarem, nachhaltigem Wohnraum nicht ins Stocken gerät.

Hintergrund

Für den L‑Bank‑ifo‑Konjunkturbericht werden monatlich über 1.200 Unternehmen zu ihrer Einschätzung der aktuellen Geschäftslage sowie ihren Erwartungen für die nächsten sechs Monate befragt. An der L‑Bank‑GfK‑Verbraucherumfrage zur Ermittlung des Preis-, Konjunktur-, Einkommens- und Anschaffungsklimas beteiligen sich in der Regel rund 300 Privatpersonen. Für den L‑Bank‑Wohnungsbau‑Report wird die baden-württembergische Baubranche einmal im Quartal einer vertieften Analyse unterzogen.

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