Konjunktur-Interview

Unübersehbare Krisensignale

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„Der pessimistische Ausblick der Geschäftserwartungen vieler Unternehmen im Land ist angesichts all der gegenwärtigen Probleme leider alles andere als unbegründet. Eine Inflationsrate bleibt nicht ohne Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung. Beruhigend ist, dass es bislang keine Anzeichen für eine Kreditklemme gibt. Die Kreditinstitute – und natürlich allen voran die Förderbanken – stehen den Betrieben also auch in diesen schweren Zeiten unterstützend zur Seite“, bewertet Edith Weymayr, Vorsitzende des Vorstands der L-Bank, die aktuelle Lage.

Karlsruhe, 13.10.2022. Die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Energie- und Versorgungskrise setzt auch den Südwestunternehmen immer stärker zu. So ist das L‑Bank-ifoInstitut für Wirtschaftsforschung-Geschäftsklima zum Ende des dritten Quartals auf den tiefsten Stand seit genau zwei Jahren gefallen. Insbesondere die Aussichten für die kommenden Herbst- und Wintermonate sind düster: Die Geschäftserwartungen liegen inzwischen deutlich im negativen Bereich. Ihre aktuelle Geschäftslage beurteilen die Unternehmen hingegen noch immer überwiegend positiv.

Frage: Frau Weymayr, sind die Südwestunternehmen aus Ihrer Sicht derzeit zu pessimistisch oder kommt es so schlimm wie befürchtet?

Antwort: Tatsächlich rechnen viele Unternehmen im Land für das nächste halbe Jahr mit einer teilweise massiven Verschlechterung ihrer Geschäftslage. In der L‑Bank-ifo-Konjunkturumfrage haben die Geschäftserwartungen im September sogar den tiefsten Stand seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie erreicht. Dieser pessimistische Ausblick ist angesichts all der gegenwärtigen Probleme leider alles andere als unbegründet. Die aktuelle Gasmangellage in Verbindung mit erheblichen Preissteigerungen und Lieferkettenproblemen setzt den Betrieben sektorübergreifend zu. Eine Inflationsrate von 9,5 %, wie sie im September in Baden-Württemberg zu beobachten war, kannten wir bislang eigentlich nur aus Entwicklungsländern. Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung.

Frage: Kommt die konjunkturelle Erholung, die seit dem pandemiebedingten Einbruch zu beobachten war, also demnächst zum Erliegen?

Antwort: Schon im ersten Halbjahr 2022 ist die baden-württembergische Wirtschaftsleistung nach Angaben des Statistischen Landesamtes nur noch um 1,8 % gestiegen; im Jahr 2021 standen noch 3,4 % zu Buche. Es ist zu befürchten, dass die konjunkturelle Dynamik in den kommenden Monaten weiter abflaut. So rechnet das ifo-Institut für das laufende Jahr nur noch mit einem BIPBruttoinlandsprodukt-Wachstum von 1,6 % in Deutschland. Für 2023 wird prognostiziert, dass die Wirtschaftsleistung sogar um 0,3 % schrumpft – bei einer extrem hohen Inflationsrate von 9,3 %. Wir werden es also in den kommenden Quartalen mit einer stagflationären Entwicklung zu tun bekommen.

Frage: Werden die Krisensignale auch auf der Verbraucherseite deutlicher?

Antwort: In der L‑Bank-GfKGesellschaft für Konsumforschung-Verbraucherumfrage ist das Konjunkturklima inzwischen auf den tiefsten Stand seit Juni 2010 gesunken. Die baden-württembergischen Privathaushalte schätzen die allgemeine Wirtschaftslage damit noch schlechter ein als unmittelbar nach Ausbruch der Corona-Pandemie. Auch das Einkommens- und das Anschaffungsklima haben neue Tiefstände erreicht. Die Anzeichen für eine tiefgreifende und strukturelle Wirtschaftskrise sind inzwischen also unverkennbar. In den kommenden Monaten sind keine nennenswerten konjunkturellen Impulse von der Konsumentenseite zu erwarten. Die Menschen im Land sind angesichts der extremen Preisanstiege einfach stark verunsichert.

Frage: Gibt es neben all den düsteren Prognosen und finsteren Stimmungsbildern auch positive Nachrichten?

Antwort: Beruhigend ist, dass es bislang keine Anzeichen für eine Kreditklemme gibt. In unseren Umfragen zur sogenannten Kredithürde beschreiben die Unternehmen, die in Kreditverhandlung stehen, das Verhalten der Banken zu fast 80 % als „entgegenkommend“ oder „normal“. Der Anteil der Betriebe, die das Verhalten der Kreditinstitute als „restriktiv“ empfinden, ist bislang nur leicht auf 20 % angestiegen. Die Kreditinstitute – und natürlich allen voran die Förderbanken – stehen den Unternehmen also auch in diesen schweren Zeiten unterstützend zur Seite.

Frage: Können Sie das konkretisieren? Wie kann die L‑Bank den Menschen und Unternehmen im Land in der aktuellen Lage helfen?

Antwort: Unser Förderangebot steht den Betrieben im Land auch in der aktuellen Situation uneingeschränkt zur Verfügung. Dabei ändert sich der Finanzierungsbedarf der Antragstellerinnen und -steller in der Regel oftmals weg vom langfristigen Investitionskredit, hin zum kurz- und mittelfristigen Liquiditätsbedarf. Dafür haben wir mit dem Liquiditätskredit ein flexibles Instrument, das wir schon während der Finanzkrise und nach Ausbruch der Corona-Pandemie bedarfsgerecht angepasst haben. Davon abgesehen beobachten wir gemeinsam mit der Landesregierung permanent, ob und inwiefern eine Ergänzung und Erweiterung des Förderangebots auf Bundesebene sinnvoll sein kann. Die Menschen und Unternehmen im Land können sich jedenfalls sicher sein: Wir stehen an ihrer Seite und arbeiten jeden Tag an einem ideal ausbalancierten Unterstützungsangebot.

Hintergrund

Für den L‑Bank‑ifo‑Konjunkturbericht werden monatlich über 1.200 Unternehmen zu ihrer Einschätzung der aktuellen Geschäftslage sowie ihren Erwartungen für die nächsten sechs Monate befragt. An der L‑Bank‑GfK‑Verbraucherumfrage zur Ermittlung des Preis-, Konjunktur-, Einkommens- und Anschaffungsklimas beteiligen sich in der Regel rund 300 Privatpersonen. Für den L‑Bank‑Wohnungsbau‑Report wird die baden-württembergische Baubranche einmal im Quartal einer vertieften Analyse unterzogen.

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