Konjunktur-Interview

Trotz unsicherer Weltlage: Südwestunternehmen berappeln sich

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Fragiler Aufwärtstrend, leichter Stimmungsaufschwung – L‑Bank-ifo-Geschäftsklima hellt sich im ersten Quartal des Jahres 2023 deutlich auf

„Die Erleichterung unter den Unternehmen im Land ist sehr groß darüber, dass sich das Risiko einer Gasmangellage im zurückliegenden Winter nicht realisiert hat und die Energiepreise derzeit wieder sinken. Diese positive Entwicklung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor erhebliche Risiken für die weitere konjunkturelle Entwicklung existieren. Es bleibt abzuwarten, ob das Frühjahrsquartal von Aufbruchsstimmung geprägt sein wird“, bewertet Edith Weymayr, Vorsitzende des Vorstands der L‑Bank, die aktuelle Lage.

 

Karlsruhe, 04.04.2023. Zum Ende des Auftaktquartals 2023 ist der L‑Bank-ifoInstitut für Wirtschaftsforschung-Geschäftsklimaindex auf den höchsten Stand seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine gestiegen. Im Vergleich zum Jahresende 2022 haben sich sowohl die Beurteilung der aktuellen Lage als auch die Geschäftserwartungen der Südwestunternehmen im Hinblick auf die kommenden Monate deutlich verbessert. Insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe und im Einzelhandel war ein Stimmungsaufschwung zu beobachten.

Frage: Frau Weymayr, die Stimmungswerte in der Südwestwirtschaft nähern sich wieder dem Niveau vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Sind mit dem Ende des Winters auch die Sorgen der baden-württembergischen Unternehmen verschwunden?

Antwort: In der Tat ist die Erleichterung unter den Unternehmen im Land sehr groß darüber, dass sich das Risiko einer Gasmangellage im zurückliegenden Winter nicht realisiert hat und die Energiepreise derzeit wieder sinken. Die Unternehmen haben nun zumindest in dieser Hinsicht wieder eine gewisse Planungssicherheit. Zudem haben die Lieferengpässe in der Industrie nachgelassen, was insbesondere mit der Öffnung der chinesischen Wirtschaft nach der Null-Covid-Politik zusammenhängt. Diese Faktoren spiegeln sich auch in unserem L‑Bank-ifo-Geschäftsklimaindex deutlich wider, der einen erheblichen Anstieg innerhalb von nur fünf Monaten verzeichnet. Diese positive Entwicklung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor erhebliche Risiken für die weitere konjunkturelle Entwicklung existieren.

Frage: An welche Risiken denken Sie dabei vor allem?

Antwort: Neben der nach wie vor hohen Inflation hat auch die immer deutlicher zutage tretende strategische Rivalität zwischen den USA und China einen erheblichen Einfluss auf die globale wirtschaftliche Entwicklung. Baden-Württemberg als industrie- und exportorientiertes Bundesland ist hiervon natürlich besonders betroffen und auf ein reibungsloses Funktionieren der internationalen Warenströme angewiesen. Hinzu kommt in jüngster Vergangenheit die Sorge um den Bankensektor aufgrund der Schieflage einzelner Banken.

Frage: Können die Probleme im Bankensektor zu einer Verschlechterung der Kreditversorgung bei baden-württembergischen Unternehmen führen?

Antwort: Dafür gibt es keine Anzeichen. Die Situation ist eine andere als bei der großen Finanzkrise vor 15 Jahren. Die Regulatorik hat sich seither weiterentwickelt und die Banken sind insgesamt resilienter. Auch unsere Umfragen zeigen, dass es trotz des gestiegenen Zinsniveaus und der jüngsten Ereignisse bislang keine Einschränkungen beim Zugang zu Fremdkapital gibt. Die sogenannte Kredithürde, also der Anteil der Betriebe, die das Verhalten der Banken in Kreditverhandlungen als restriktiv bezeichnen, ist im Vergleich zum Jahresende 2022 nur minimal gestiegen.

Frage: Der Bausektor leidet derzeit besonders stark unter Auftragsrückgängen infolge von Preisanstiegen und dem höheren Zinsniveau. Ist diese Entwicklung auch im Südwesten zu beobachten?

Antwort: Ganz eindeutig ja. Im Wohnungsbausektor hat sich das Geschäftsklima im ersten Quartal gegen den Trend der baden-württembergischen Gesamtwirtschaft weiter verdüstert. Der entsprechende Indexwert liegt auf dem tiefsten Stand seit dem Jahr 2009. 16 % der befragten Wohnungsbauunternehmen leiden inzwischen unter Auftragsmangel. Werte in dieser Größenordnung wurden zuletzt vor elf bis zwölf Jahren beobachtet. Das hat natürlich neben dem drastischen Anstieg der Zinsen vor allem mit der Preisentwicklung zu tun: Nach Angaben des Statistischen Landesamtes lagen die Preise für Bauleistungen im ersten Quartal 2023 um 13 % über dem Vorjahresniveau. Das schreckt natürlich viele Menschen ab, die grundsätzlich gerne Wohneigentum schaffen möchten.

Frage: Steigende Preise und Kreditzinsen, sinkende Reallöhne – angesichts dieser Gemengelage dürfte es um die Stimmungslage der Privathaushalte weiterhin schlecht bestellt sein. Oder ist hier ein Positivtrend erkennbar?

Antwort: Erstaunlicherweise ist trotz der zahlreichen Belastungen seit einigen Monaten – wenn auch ausgehend von einem niedrigen Niveau – ein klarer Positivtrend in unserer L‑Bank-GfK-Verbraucherumfrage erkennbar. Besonders deutlich hat sich das Konjunkturklima verbessert, hier war im Vergleich zum Jahresende ein Anstieg zu verzeichnen. Auch beim Einkommens- und beim Anschaffungsklima scheint die Talsohle vorerst durchschritten. Wie die Unternehmen haben wohl auch die Privathaushalte mit einer noch schlechteren Entwicklung im Winter gerechnet, sodass jetzt eine gewisse Erleichterung erkennbar ist. Doch der Aufwärtstrend ist auch hier fragil und es bleibt abzuwarten, ob das Frühjahrsquartal von Aufbruchsstimmung geprägt sein wird oder die vielen Krisenherde neuerliche Belastungen mit sich bringen.

Hintergrund

Für den L‑Bank‑ifo‑Konjunkturbericht werden monatlich über 1.200 Unternehmen zu ihrer Einschätzung der aktuellen Geschäftslage sowie ihren Erwartungen für die nächsten sechs Monate befragt. An der L‑Bank‑GfK‑Verbraucherumfrage zur Ermittlung des Preis-, Konjunktur-, Einkommens- und Anschaffungsklimas beteiligen sich in der Regel rund 300 Privatpersonen. Für den L‑Bank‑Wohnungsbau‑Report wird die baden-württembergische Baubranche einmal im Quartal einer vertieften Analyse unterzogen.

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