Konjunktur-Interview

Inflation und Fachkräftemangel belasten die Südwestwirtschaft

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Stärkster Einbruch seit fast einem Jahr, gedrückte Stimmungslage – L‑Bank-ifo-Geschäftsklima trübt sich im zweiten Quartal des Jahres 2023 ein

„Die Winterrezession war leider nicht so mild wie erhofft. Die in vielerlei Hinsicht schwierigen Rahmenbedingungen belasten die Unternehmen immer konkreter auf allen Ebenen. Nach Ansichten der meisten Konjunkturexperten soll die Inflation aber langsam abflauen und bereits im kommenden Jahr auf einem deutlich niedrigeren Niveau liegen, bewertet Edith Weymayr, Vorsitzende des Vorstands der L‑Bank, die aktuelle Lage.

Karlsruhe, 11.07.2023. Die Südwestwirtschaft ist derzeit weit von einer dynamischen Aufbruchsstimmung entfernt. Im Juni verzeichnete der L‑Bank-ifo-Geschäftsklimaindex den stärksten Einbruch seit fast einem Jahr und ist dadurch wieder knapp unter die Nulllinie gefallen. Die baden-württembergischen Unternehmen beurteilen sowohl ihre aktuelle Geschäftslage als auch ihre Perspektiven für die kommenden Monate deutlich schlechter als noch zum Ende des ersten Quartals.

Frage: Frau Weymayr, nachdem zu Beginn des Jahres noch ein deutlicher Positivtrend zu erkennen war, hat sich die Stimmungslage der baden-württembergischen Unternehmen jetzt wieder eingetrübt. Woran liegt das?

Antwort: Die in vielerlei Hinsicht schwierigen Rahmenbedingungen belasten die Unternehmen immer konkreter auf allen Ebenen. Inflation, Fachkräftemangel und nicht zuletzt ein durch das höhere Zinsniveau schwierigerer Zugang zu Fremdkapital stellen die Betriebe vor immer kompliziertere Herausforderungen und erschweren auch die so dringend notwendigen Investitionen in die digitale und nachhaltige Transformation. Diese angespannte Situation hat sich im zweiten Quartal auch deutlich in unserer L‑Bank-ifo-Konjunkturumfrage niedergeschlagen. Da sich sowohl die Lage- als auch die Erwartungskomponente verschlechtert haben, ist der übergeordnete Geschäftsklimaindex erstmals seit Herbst 2022 wieder knapp in den negativen Bereich gefallen.

Frage: Sie erwähnen den Fachkräftemangel und Finanzierungsprobleme durch das gestiegene Zinsniveau. Sind diese Problemfelder auch direkt in den Umfrageergebnissen erkennbar?

Antwort: In der Tat klagen bereits seit einem Jahr durchgängig knapp 40 % der Industriebetriebe über fehlende Fachkräfte. Werte in dieser Größenordnung haben wir davor noch nie beobachtet. Zudem zeigen unsere jüngsten Umfrageergebnisse, dass Kreditverhandlungen für viele Unternehmen inzwischen schwieriger geworden sind. So ist der prozentuale Anteil der Betriebe, die das Verhalten der Banken in Kreditverhandlungen als restriktiv wahrnehmen, zuletzt auf fast 25 % gestiegen. Das ist der höchste Stand seit Beginn dieser Umfrage im Jahr 2017.

Frage: Schlägt sich die Stimmungseintrübung auch in den harten Konjunkturdaten nieder? Erleben wir eine länger anhaltende Rezession?

Antwort: Tatsächlich war die Winterrezession leider nicht so mild wie zwischenzeitlich erhofft und es wurde einiges an Wirtschaftskraft eingebüßt. Dem Statistischen Bundesamt zufolge ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt im Schlussquartal 2022 um 0,5 % und im ersten Quartal 2023 um weitere 0,3 % geschrumpft. Allzu viel konjunktureller Schwung ist leider auch im weiteren Jahresverlauf nicht zu erwarten. Das ifo-Institut hat seine Wachstumsprognose für das Jahr 2023 kürzlich sogar noch etwas nach unten korrigiert und rechnet nun mit einem Minus von 0,4 %. Auch der L‑Bank-ifo-Frühindikator, der anhand der Ergebnisse unserer Konjunkturumfrage eine qualitative Prognose zur BIP-Entwicklung in Baden-Württemberg trifft, deutet auf eine stagnierende bis rückläufige Tendenz in den kommenden Monaten hin.

Frage: Das klingt alles nicht sehr hoffnungsvoll. Gibt es für die Konjunkturentwicklung in Baden-Württemberg auch ermutigende Signale?

Antwort: Eine eindeutig positive Nachricht ist, dass die Inflation nach Ansicht der meisten Konjunkturexperten langsam abflauen und bereits im kommenden Jahr auf einem deutlich niedrigeren Niveau liegen soll. In Baden-Württemberg lag die Teuerungsrate im Juni zwar immer noch bei hohen 6,9 % aber bereits deutlich unter den Werten um den Jahreswechsel. Es besteht also die begründete Hoffnung, dass die Menschen in den kommenden Jahren wieder mehr finanziellen Spielraum haben und somit wieder eine größere wirtschaftliche Dynamik entstehen kann. Die Ergebnisse unserer L‑Bank-GfK-Verbraucherumfrage spiegeln diese Zuversicht auch bereits wider. So ist das Preisklima – also die subjektive Inflationswahrnehmung – seit dem Spätsommer 2022 kontinuierlich gesunken. Der entsprechende Indexwert liegt inzwischen glücklicherweise deutlich unter den historischen Rekordwerten aus dem Vorjahr.

Frage: Ein großes Sorgenkind war zuletzt der Wohnungsbausektor. Wie hat sich hier die Stimmungslage im zweiten Quartal entwickelt?

Antwort: Leider gibt es im Wohnungsbausektor noch keine wesentliche Verbesserung zu vermelden. Der Geschäftsklimaindex der Branche liegt nach wie vor im tiefroten Bereich. Die gestiegenen Zinsen und Baupreise wirken sich zudem immer gravierender auf die Bauaktivitäten aus. So lag die Zahl der genehmigten Neubauwohnungen nach Angaben des Statistischen Landesamtes im Zeitraum Januar bis April mit rund 11.400 bereits um 22 % unter dem Vorjahresniveau. Hinzu kommt, dass die baden-württembergischen Wohnungsbauunternehmen hinsichtlich der weiteren Entwicklung ihrer Bautätigkeiten derzeit so pessimistisch sind wie zuletzt 2009.

Frage: Steigen die Baupreise in den kommenden Monaten weiter an oder ist der Höhepunkt inzwischen erreicht?

Antwort: Seit einigen Monaten zeichnet sich tatsächlich eine Trendumkehr bei der Baupreisentwicklung ab: Zwar lagen die Preise für Bauleistungen laut Statistischem Landesamt im zweiten Quartal noch um rund 7 % über dem Vorjahresniveau; die Wohnungsunternehmen berichten in unseren jüngsten Umfragen aber erstmals seit etwa drei Jahren von einem Rückgang der Baupreise und rechnen auch für die kommenden Monate mit weiteren Preissenkungen. Das macht natürlich Hoffnung, dass sich die Situation im Bausektor mittelfristig wieder normalisiert und damit die dringend benötigte Schaffung von ausreichend bezahlbarem Wohnraum wieder vorangetrieben werden kann.

Hintergrund

Für den L‑Bank-ifo-Konjunkturbericht werden monatlich über 1.200 Unternehmen zu ihrer Einschätzung der aktuellen Geschäftslage sowie ihren Erwartungen für die nächsten sechs Monate befragt. An der L‑Bank-GfK-Verbraucherumfrage zur Ermittlung des Preis-, Konjunktur-, Einkommens- und Anschaffungsklimas beteiligen sich in der Regel rund 300 Privatpersonen. Für den L‑Bank-Wohnungsbau-Report wird die baden-württembergische Baubranche einmal im Quartal einer vertieften Analyse unterzogen.

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  • Presseinformation: Inflation und Fachkräftemangel belasten die Südwestwirtschaft

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    Eingestellt am 11.07.2023
    Gültig ab 11.07.2023
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